Pazifismus

— Pt. —


"Wer den Frieden will, muß für den Krieg rüsten."

Dieses Motto der Militaristen kennzeichnet kurz die Ideologie der Staatsgläubigen, welche sich unter Frieden nur einen Zustand denken können, der Zwang nach innen und nach außen bedeutet, um das Eigentum der Staatsbürger vor jedem Angriff zu sichern.

Dieser künstlich geschaffene Frieden ist aber nur ein Scheinfrieden, der in Wahrheit ein Waffenstillstand ist, da seine Erhaltung, — bereit sein für den Krieg heißt.

Wer aber den wirklichen Frieden will, muß vor allem die Befreiung des Individuums von Zwang und Gewalt wollen und damit die Achtung vor dem Menschenleben über alles stellen.

Das Friedenswollen entspringt einem natürlichen Gefühl aller Lebewesen. Nicht die Religionen oder geschichtlichen Erfahrungen bilden die Grundlage zum Friedenswillen, sondern das Ruhebedürfnis, welches sich bei voll erfüllter Existenzbedingung des Individuums kundgibt, ist der leitende Trieb zum Frieden. Und erst das Bewußtsein seinen Egoismus unbehindert befriedigen zu können, d. h. Seine natürlichen Bedürfnisse kampflos zu stillen, leitet den Willen zum Allgemeinfrieden ein.

Die Geschichte aller Völker und Zeiten lehrt uns, daß der Wille zum Frieden sich nicht künstlich erzeugen läßt, daß alles predigen vom "Frieden auf Erden" zwecklos ist, wenn die Kriegsursachen bestehen bleiben. Und hier versagte der christliche sowie der bürgerliche Pazifismus fast immer und geradezu lächerlich wirkt der in Friedensdemonstrationen und sonstigen Kundgebungen sich auswirkende Pazifismus christlicher, bürgerlicher und auch — sozialistischer Richtung.

So wie die christliche Kirche schon seit Jahrhunderten es nicht lassen kann zu gewissen Zeiten den "Gottsohn" und "Friedenbringer" ihrer gläubigen Herde zu demonstrieren, so glauben auch jene "weltlichen" Friedensapostel von heute nicht umhin zu können, von Zeit zu Zeit ihren Anhang und zum Teil auch die übrigen Menschheit zu Demonstrationen für den Frieden aufzurufen, um schließlich durch Annahme von Resolutionen Friedensforderungen an eine jeweilige Regierung zu stellen.

Als ob eine Regierung, die doch immer nur eine Klassenvertretung sein kann, jemals Forderungen erfüllen könnte, welche in ihrer Konsequenz das Herrschaftsprinzip aufheben und dadurch die Klassen als solche beseitigen müssen. Sie verkennen ganz, daß nur die klassenlose Gesellschaft, Voraussetzung für den wirklichen Frieden ist.

Auch kurz vor dem großen Völkermorden 1914-1918 demonstrierten Hunderttausende gegen den Krieg, aber doch machten alle, abgesehen von wenigen Ausnahmen, dies imperialistische Unternehmen mit, um zum Wohle einer kleinen Zahl Kapitalsmagnaten sich gegenseitig abzumurksen. Aber diejenigen, welche zuvor vom ewigen Frieden redeten, gingen hin und predigten den "heiligen Krieg".

Wir fragen uns, welche Ursachen waren es, die die Masse und ihre Führer zu einem solchen radikalen Sinneswechsel veranlaßten? Und die Antwort lautet: weil sie alle in einer Welt lebten und noch leben, in der kein Frieden war noch ist, sondern Krieg aller gegen alle.

Oder ist das kein Krieg, wenn im kapitalistisch-wirtschaftlichen Konkurrenzkampf tausende und abertausende Lohnsklaven zugrunde gehen? Wenn die brutale Weltwirtschaft Millionen Menschenblüten vorzeitig knickt und mit barbarischem Schritt über Menschenleichen geht? Wenn infolge von Wirtschaftskrisen, hervorgerufen durch einen sinnlosen Konkurrenzkampf, tausende Proletarier mit dem Hunger kämpfen und ebenso viele Existenzen vernichtet werden? — Das ist der Krieg in seiner schlimmsten Form, wo es für den Schwachen kein Mitleid gibt, wo es heißt: "wer nicht schwimmen kann gehe unter".

So war es vor dem Weltkriege, in dem man zum Unterschiede von dem sogenannten Frieden mal ein Massenschlachten organisierten und nach demselben trat wieder jener Zustand ein, den man irrtümlich mit Frieden bezeichnet, der aber nur eine andere Form des Krieges ist.

Und wieder ist ein neues Drama in Vorbereitung, wir können schon deutlich die Klänge jener Ouvertüre vernehmen, die uns noch allzu deutlich von 1914 bekannt sind. Werden auch jetzt wie damals jene Friedensapostel versagen? Oder werden auch sie begreifen lernen, daß in einer Gesellschaft wo der Mensch des Menschen Todfeind ist, kein Frieden sein wird noch kann?

Wer den wirklichen Frieden will, darf auch vor der letzten Konsequenz nicht zurückschrecken, d. h. Vor dem Willen zur Tat. "Am Anfang war die Tat", sagt Goethe im "Faust", und so müssen auch alle ernsten Friedensfreunde sagen, wir wollen anfangen und den Willen zur Tat haben für den Menschheitsfrieden.

Darum Kampf gegen die Herrschaft in jeder Form; Kampf gegen die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Nicht mit Sentimentalitäten läßt sich die durch Tradition geheiligte Kriegsbestie beseitigen, sondern nur mit kräftig durchgreifenden Mitteln, wie sie von den Anarchisten schon zu unzähligen Malen empfohlen wurden. Denn solange die sozialen Einrichtungen der Menschen auf Macht und Gewalt gegründet sind, so lange wird auch Krieg sein unter den Menschen.

Wer daher den Frieden will, muß den revolutionären Kampf gegen die Kriegsursachen wollen. Eine andere Konsequenz gibt es nicht.


Aus: Der Freie Arbeiter — 16. Jahrg. 1923 Nummer 27
Hier zitiert nach: https://revolutionsverlag.noblogs.org/post/2022/06/20/pazifismus/
Weitere Texte unter: https://revolutionsverlag.noblogs.org/krieg/







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Aktualisiert 30.04.2023